13. Januar 2023, Veranstaltungsbericht
Baukultur im ländlichen Raum – Das Dorfbild
Am 17. Oktober 2022 fand die vom Förderverein Baukultur Brandenburg und der
BTU Cottbus-Senftenberg, Fachgebiet Bau-und Planungsrecht, in Kooperation mit der Brandenburgischen Architektenkammer und der Brandenburgischen Ingenieurkammer ausgerichtete Tagung „Baukultur im ländlichem Raum – Das Dorfbild“ statt.
Prof. em. Heinz Nagler ging in seiner Einführung auf die Frage nach der Notwendigkeit dieser Tagung zum jetzigen Zeitpunkt ein. Die Dörfer im Land Brandenburg seien ein wichtiges baukulturelles Gut. Charakteristische Räume, Bautypen und Ränder prägen das Bild des Dorfes, das allerdings im Zuge von untypischem Bauen im Dorfkern und problematischen Ortserweiterungen großen Gefahren ausgesetzt sei. Denn werden beim Planen und Bauen im Dorf Gestaltungsgrundsätze missachtet, kann der baukulturelle Wert einer ganzen Ortslage in Schieflage geraten. Wie die Weiterentwicklung der Dörfer regionaltypisch erfolgen kann, sei die große Herausforderung für die kommenden Jahre.
Der Vortrag „Haus und Hof und sehr viel mehr“ (verfasst von Rochowski, Schaubs, Salgo, BLDAM) und vorgetragen von Dr. Andreas Salgo gab einen Überblick zum baulichen Erbe in den brandenburgischen Dörfern. Einen Schwerpunkt legte er auf die Siedlungsformen wie das Angerdorf, das Straßendorf, den Rundling und Sonderformen wie das „doppelte Platzdorf“. Auf Gebäudeebene ging er auf deren dörfliche Vielfalt ein. Dargestellt wurden Dorfkirchen, Gutsanlagen, Gehöfte, Gefährdete Haustypen, Kriegerdenkmäler, Tore, Zäune, Technische Denkmale und Industrialisierung auf dem Land. Abschließend wurden neuere Entwicklungen auf dem Land, die mit Funktionsverluste, Fertighausbau und Pendler- bzw. Satellitensiedlungen einhergehen beklagt. Sehr klar wurde, dass das Bauen auf dem Land eine kontextuelle Analyse voraussetzt, die Geschichte und Typologie des Dorfes mit einschließt.
Prof. Dr. Bernhard Weyrauch und Francesco Tommasino haben den rechtlichen Rahmen für das Bauen in Ortslagen erläutert. Es ergab sich, dass sich städtebauliche Fehlentwicklungen nicht ausschließen lassen, wenn der rechtliche Rahmen über Bebauungspläne nach § 30 BauGB oder im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB nur auf die Grundregeln zur Art und zum Maß der baulichen Nutzung, zur Bauweise sowie zur überbaubaren Grundstücksfläche begrenzt bleibt. Es wurde auch klargestellt, dass die Bauaufsichtsbehörde bei der Bewertung von Bauanträge an den rechtlichen Rahmen gebunden ist und keine Handhabe besitzt, positive Ortsbildpflege zu betreiben.
Den Auftakt zum 2. Block der Tagung, der die aktuelle Lage erfassen sollte, machte der Vortrag von Prof. Dr. rer. pol. Ludger Gailing, BTU C-S und Prof. Dr. Ariane Sept, Hochschule München und bis zuletzt noch Leibniz-Institut für raumbezogene Sozialforschung (IRS), der mit „Dörfer in Brandenburg: Aktuelle Herausforderungen und Chancen“ überschrieben war. Im Ganzen wurden die Eingangsthesen der Tagung bestätigt und fundiert, dass eine Inwertsetzung des Ländlichen zu erkennen ist und der „Problemfall Dorf“ zum Ort sozialer Innovationen wird. Dörfer gelten traditionell nicht als innovativ, aber es wird ein Wandel beobachtet, der getragen wird von neuen Akteuren, die ihren Mittelpunkt nach Brandenburg verlegen, von Pendlern, Besitzern von Feriendomizilen und Zweitwohnsitzen, von jungen Menschen der Kreativbranche, die ein Netzwerk mit anderen Zukunftsorten gründen und von Pionieren in den Bereichen KoDorf, CoWorking Spaces, Bildungsangebote und Sozialunternehmen.
Im Vortrag von Prof. Dr. Bernhard Weyrauch „Rechtsinstrumente für die Ortsgestaltung und den Schutz von baukulturellem Erbe – Gestaltungssatzung, Erhaltungssatzung, Denkmalbereichssatzung“ wurden Inhalt und Wirkung von zwei Rechtsinstrumenten zum Schutz von Ortsbild, Stadtgestalt und Landschaftsbild, nämlich der städtebaulichen Erhaltungssatzung i.S.d. § 172 Abs. 1 Nr. 1 BauGB einerseits sowie der Gestaltungssatzung i.S.d. § 87 BbgBO andererseits aufgezeigt. Über Erhaltungssatzungen wird ein Genehmigungsvorbehalt bewirkt mit der Folge, dass jede Baumaßnahme im Geltungsbereich der Satzung eine vorherige Genehmigung durch das zuständige Stadtplanungsamt bzw. die zuständige Bauverwaltung der Gemeinde erforderlich macht. Würde die städtebauliche Gestalt des Satzungsgebietes beeinträchtigt werden, kann die Verwaltung von einer Genehmigung absehen.
Der Block der guten Beispiele wurde mit dem Vortrag „Der Dorfdialog“ Ortsgestaltung mit Architekten“ von Dipl.-Ing. Andreas Rieger, Präsident BA und Alexandra Tautz, M.A. Forum Ländlicher Raum – Netzwerk Brandenburg eröffnet. Die um die Phasen Null und Zehn erweiterten neun Leistungsphasen der HOAI wurden als die 11 Phasen der Baukultur vorgestellt. Die Phase Null umfasst die Voruntersuchungen, das Vordenken, die Projektdefinition, die Beteiligung sowie das Verhandeln. Die Phase Zehn schließt den Betrieb, die Bewirtschaftung und die Instandhaltung mit ein. Gute Baukultur führt somit über eine partizipative Bedarfsermittlung – dem Reden – zu einer ziel- und lösungsorientierten Entwurfs- und Ausführungsplanung – dem Handeln – und somit zur schnelleren und besseren baulichen Realisierung. Das Instrument des DorfDialogs versteht sich als Bildungsangebot zu Fragen der Dorfentwicklung für Dörfern und Gemeinden. Es stellt eine Art Planspiel dar mit dem Ziel Menschen in den Dörfern zu ermutigen und zu befähigen, die Zukunft ihrer Dörfer selbst zu bestimmen und selbst zu gestalten.
„Gutes regionales Bauen im ländlichen Raum“, wurde von Prof. Dr. Jürgen Peters, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde anhand der Dokumentation des Bauherrenwettbewerbes 2019 „Regionaltypisches Bauen in der Region des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin. Potsdam und Eberswalde“ vorgestellt. In den Kategorien Bestand, Neubau, Ortsbild, Garten- und Landschaftsgestaltung sowie regionale Baustoffe erläuterte er die Qualitäten eingereichter Projekte. Mit Skepsis reagierte er auf Tendenzen einer Überregulierung des regionalen Bauens.
Neue Ökonomien, alte Sozialverbünde und Bestandsorientierung im Dorf brachte uns M.Sc. Kristina Wiese (Farland), Berlin mit einer feinen Auswahl an eigenen Projekten näher. Berlin besitzt eine Szene für kreative Selbstorganisation und nachhaltige Stadtentwicklung, die gemeinschaftliches Bauen und Wohnen befördert. Planen in diesem Kontext bedeutet, hohe Individualität und Anspruch zu verbinden mit der Bereitschaft in der Gruppe zu teilen. Synergien können sich z.B. in einem gemeinschaftlichen Garten, in Gemeinschaftsbüro sowie in Form von Gemeinschafts-Gästezimmern/-whg. oder von gemeinschaftlichen Lagern/Kellern ergeben.
Die Ergebnisse eines studentischen Workshops der BTU „Das Domstiftsdorf Grabow des Domstifts Brandenburg an der Havel“ wurde von Prof. Anna Lundqvist BTU Cottbus- Senftenberg vorgestellt. Das Domstiftsdorf stellt seit jeher ein wichtiges ökonomisches Element für das Domstift dar. Heute ist es an einen großen Spargelbauern langfristig verpachtet und die Wohnfunktion stark dezimiert. Zur Wiederbelebung und Entwicklung des Ortes musste zunächst eine Definition des Dorfes unter kirchlicher Prämisse gesucht werden. Dies führte zu Begrifflichkeiten wie Erhaltung der Schöpfung, Nachhaltigkeit, Inklusion, neuer Zugang zu Lebensmitteln und Ressourcen, welches in der Summe einem diakonischen Gedanken entspricht.
Den Abschluss der guten Beispiele sollte Prof. Thomas Will, TU Dresden, geben, der Beispielhaftes aus dem Sächsischen Landeswettbewerb Ländliches Bauen präsentierte. Das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft hat den Wettbewerb 2019 zum 17. Mal ausgelobt. Als wichtiges Kriterium des Wettbewerbs wurde unter der Rubrik Stadt-Land die Vielfalt und Potentiale der eingereichten Arbeiten sowie deren Originalität im Konzept hervorgehoben.
Eine Schlussbetrachtung zur Tagung nahm Prof.em. Heinz Nagler vor.
Die Produktionsbedingungen für das Produkt Dorf haben sich grundlegend verändert. Die alte soziale Ordnung gestuft nach Bauer, Halbbauer, Kossäte und Tagelöhner existiert nicht mehr. Auch die Wirtschaftsordnung und -struktur die historisch gesehen in enger Beziehung zur kleinteiligen Landwirtschaft oder zum Gut standen gibt es nicht mehr. Aber die Dörfer die diese alte Sozial- und Wirtschaftsordnung baulich abbilden sind vielerorts in großer Authentizität in materieller Disziplin und Reduktion erhalten. Diese Dorfbilder sind als bauliche Zeugen, selbst als ausgehöhlte Kulissen und Raumbilder von großer Bedeutung, da sie nicht reproduzierbar sind. Denn heute besteht das Dorf in wesentlichen Teilen aus Altbewohnern, Pendlern, Neudörflern, Zweitwohnungs- und Ferienhausbesitzern und wird in seiner Gesamtheit als heterogene Sozial- und Wirtschaftsordnung keine stimmigen neuen Dorfbilder erzeugen können. Wenn die neue heterogene Sozial- und Wirtschaftsordnung aber den neuen Inhalt mit neuen Formen des Wohnens und des Wirtschaftens darstellen, so müssen sich die alten Bauformen und Gebäude auch als aneignungsfähig, adaptiv und letztlich anpassungsfähig zeigen. Das bringt notwendigerweise bauliche Veränderungen mit sich.
In der Tagung wurden Anzeichen für eine Zeitenwende sichtbar. War das alte Dorf mit seiner sozialen Enge und wirtschaftlichen Not noch Fluchtort – wird es in der Zukunft durch den Wunsch nach einer neuen Ländlichkeit und Landlust zunehmend zum Sehnsuchtsort!?
Den vollständigen Bericht zur Veranstaltung können Sie hier herunterladen. Er erschien außerdem im DAB Regionalteil Ost 01-02/23. Das Grußwort von Anja Boudon, Staatssekretärin für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz in Brandenburg, ist hier einsehbar.